Regeln

monochrom fungiert als Spielleitung und trifft sich täglich mit den SpielerInnen, um den aktuellen Spielverlauf festzulegen.

Am ersten Tag wird den SpielerInnen ihre jeweiligen Rollen per Losverfahren zugewiesen. Im Anschluss daran kommen die Werwölfe an einem geheimen Ort mit der Spielleitung zusammen. Nun werden die Opfer der ersten Nacht bestimmt.

Am nächsten Tag teilt die Spielleitung mit, wer in der ersten Nacht von den Werwölfen getötet wurde. Diese SpielerInnen scheiden aus. In einer Versammlung benennen die Überlebenden, MitspielerInnen, von denen sie annehmen, dass es sich um Werwölfe handelt und tötet diese. Sie scheiden ebenfalls aus, unabhängig davon, ob sie wirklich Werwölfe waren. Die kann nur der/die Seher/in feststellen. Er/sie tut dies, indem er/sie die Getöteten „besieht“. Pro Spieltag können jedoch nur 3 der Getöteten besehen werden.

Der/die Heiler/in gibt sich nicht zu erkennen und steht im Geheimen mit der Spielleitung in Verbindung. Pro Spieltag kann er/sie jeweils 2 getötete SpielerInnen (egal ob durch die Werwölfe oder die Dorfbevölkerung) wieder zum Leben erwecken. Diese teilt er/sie der Spielleitung mit.

Diese Vorgänge wiederholen sich an den folgenden Spieltagen: die Werwölfe töten DorfbewohnerInnen, diese wiederum (vermeintliche) Werwölfe, Seher/in und Heiler/in besehen bzw. erwecken einige davon.. Erst am Ende stellt sich heraus, wer wirklich Werwolf war und wer nicht, indem die Spielleitung die Werwölfe schließlich bekannt gibt.

„Wer Wolf?“ operiert mit sichtbaren und unsichtbaren Identitäten, wie sie soziale Mikrokosmen konstituieren und aufrechterhalten. Dies kann fasslich gemacht werden, indem das bekannte „Mafia“-Spiel in eine realweltliche Ebene gehievt wird: die eines tatsächlich existierenden Dorfes, dessen soziale und interaktionelle Realität mit der Spielebene verknüpft wird.

In dieser Weise wird der Realebene eine Spielweltebene hinzugefügt, die die bestehenden Beziehungsformen und sozialen Strukturen neu zur Verhandlung bringt. Wir möchten den realen DorfbewohnerInnen die Möglichkeit geben, als fiktive DorfbewohnerInnen ihre realen Rollen und Rollenbeziehungen in einem neuen, spielerischen Kontext zu überprüfen und zu hinterfragen.

In der Anlage der Spielrealität gibt es zwar Unterschiede zwischen den DorfbewohnerInnen (Werwolf – normal – Heiler/in – Seher/in), die aber in der allgemeinen Unkenntnis über die Zugehörigkeit des/der Einzelnen wieder aufgehoben sind. Eine „Chancengleichheit“ des Misstrauens und des Verdachts entsteht. Jede/r weiß nur um die eigene Rolle, und lediglich die als Werwölfe markierten SpielerInnen kennen sich gegenseitig. Sie wissen um ihre Zusammengehörigkeit (die ihren Ausschluss und ihre Gefährdung bedingt) und die Zugehörigkeit fast aller anderen – nur den/die Heiler/in vermögen auch sie nicht zu benennen. Ihn/sie kennt allein die Spielleitung.

In diesem Handlungsrahmen ergibt sich die Grundsituation eines allgemeinen Misstrauens, geprägt von der intentionalen Konkurrenz zwischen Werwölfen (wollen unentdeckt bleiben und die DorfbewohnerInnen töten) und der Normalbevölkerung (wollen die Werwölfe aufspüren und vernichten). Das Andere, die Abweichung bedroht die Normalität des Kollektivs. Und sie potenziert ihre Bedrohung dadurch, dass sie als unerkannte Minorität im Normalen koexistiert.

Die im Spiel versinnbildlichten Strukturen entsprechen somit in vielfältiger Weise dem, was Kollektive ausmacht, die sich über die Existenz und Präferenz einer hegemonialen Seinsweise konstruieren. Dabei stellen „die Anderen“ ein wichtiges Element der Konstitution sozialer Kollektive dar, denn erst durch die Abweichung wird das Normale in plastisch sichtbar und kann verhandelt werden.

Im spielerischen Umgang mit den Konstitutionsprinzipien sozialer, interpersoneller Realität möchten wie zusammen mit den DorfbewohnerInnen die in sozialen Kollektiven ablaufenden Konstitutionsprozesse und ihre Dynamik erkunden. Wir wollen das, was theoretisch längst bekannt, praktisch aber oft unübersetzbar ist, durchspielen, um zu erfahren, was wir selbst sind und was die Anderen. Dies kann, so glauben wir, nur in einem Setting gelingen, das sich von der Alltagsrealität ablöst, und sie doch zugleich in einer symbolischen Form wiederum präzise enthält.

Wir glauben, dass der gegenseitige Respekt, insbesondere derjenige für das Andere im Anderen, sich in einer solchen fiktionalen Anordnung, die dennoch der realen Welt entnommen ist, anders erlernen und erarbeiten lässt, als dies unsere Verstrickung in die Realität unseres Alltags und die dort produzierten Rollenmuster und Handlungszwänge zulassen.

Indem wir in einer solchen Spielsituation das Andere im Anderen aufzudecken versuchen, seine Gruppenzugehörigkeit und seine jeweilige Rolle, die von der Alltagsoberfläche, auf der wir ihm/ihr begegnen, verdeckt wird, können wir erfahren und verstehen, wie es ist ein Anderer zu sein, und inwieweit wir jeweils selbst immer schon Andere sind; Andere, die nicht mit dem zusammenfallen, was wir – den Zwängen und Erfordernissen des Miteinanders folgend – von uns preisgeben. So können wir zu einem Verständnis der Vorgänge, Prozesse, Erwartungen und Handlungszwänge gelangen, die uns als das konstituieren, was wir sind und was wir (nicht) zu sein vorgeben, um uns selbst und anderen gegenüber identisch zu sein. Diese identische Form, die wir uns selbst und den Anderen gegenüber einnehmen, verlangt von uns, mit dem Bild, das wir selbst zusammen mit den Anderen von uns entwerfen, überein zu stimmen. Die Weise, in der dies geschieht und die Macht, die sie über uns, unsere Handlungen, Sprechweisen und Inszenierungen ausüben, sind das Thema des Projektes „Wer Wolf?“. Durch seine besondere Form, das, was mit uns geschieht, wenn wir im Rahmen kollektiver Interaktionsprozesse mit- und gegeneinander agieren, als Spiel abzubilden, ermöglicht es, den Blick für die Anderen, den wir soziale eingeübt haben, neu zu verstehen oder sogar zu erlernen. Die Identität des Anderen – und die hieraus resultierende Funktion für das sowie seine die Position im Kollektiv – werden zu einem gemeinsamen zu lösenden Rätsel, bei dem das Andere und die Anderen gemeinsam erforscht werden müssen.