„Zweites Bild: Wie die Loge sich einmal zumindest zu einem Viertel aufraffen konnte und mit der U-Bahn nach Kassel fuhr“

Dennoch formierte sich in all der gelebten Bedeutungslosigkeit durchaus so etwas wie eine Kontrafaktur klassischer Logen und Männerbünde. Deren wechselseitigen Protektionismus zum Beispiel konterkariert das Logenmotto „Keiner hilft keinem“, das über die stilisierte Feier der Inaktivität und der Ereignislosigkeit auch eine Verweigerung der generellen Logenprinzipien als Aufbauorganisationen von Machtnetzwerken impliziert. Dem stählernen Avatar von Logen wird der Mensch als schwaches, verlorenes und hilfloses Ding in all seiner Gottserbärmlichkeit gegenübergestellt. Und Loge als etwas entworfen, das nicht auf Weltherrschaft (as in The Coca Cola Company) abonniert sein muss. Auch die (gesuchte) Verzweiflung und die (geplante) Verblödung haben ein irgendwie angeborenes Recht auf Logeizität. Gerade wegen dieses produktiven Widerspruchs konnte die Lord Jim Loge zum Mythos werden. Und dieser Mythos bezog seine Ausstrahlungskraft aus der Ununterscheidbarkeit von konzeptuell gewordener Institutions-Kritik und merkwürdigem Bierernst auf Trunkenheitsfahrt: War der Frauen-Ausschluss nun dem chauvinistischen Habitus der vier Logengründer geschuldet oder stellte er eine pointierte Kritik von Logen als Männerbünden dar? – Eine Frage, auf die nur eine Antwort denkbar ist: Im Zweifelsfall beides. Bzw.: Hierauf ein eindeutiges Jein! Solche ästhetische Strategien waren gewissermaßen wesenstypisch für die Arbeiten der Beteiligten, insbesondere die von Martin Kippenberger. Und letztlich war er es, der am eifrigsten versucht hat, zumindest gelegentlich, die Lord Jim Loge in sein „Werk als Lebensform“ zu integrieren. Zum Beispiel verarbeitete er nicht selten ihr Logo in seinen Gemälden.
Einen Höhepunkt dieser zumindest halbherzigen Außendarstellung der Lord Jim Loge markiert Kippenbergers Teilnahme an der documenta X 1997 in Kassel. Das „Sonne Busen Hammer“-Logo erhält einen prominenten Platz im Eingangsbereich des von ihm dort errichteten U-Bahn-Eingangs (im Rahmen eines weltumspannenden Systems von U-Bahn-Eingängen – eines der wichtigsten Spätwerke Kippenbergers). Allerdings verstirbt Kippenberger noch vor der Eröffnung. Durch seinen Tod und die zentrale Positionierung auf der documenta – die vielleicht wichtigste Kunst-Monstertruckshow der bildungsbürgerlichen Gegenwart – gerät die Lord Jim Loge wie aus Versehen in den Fokus der Kunstwelt und erlangt eine beinahe mystische Aura, die auch ihre weitere Lebensgeschichte nie ganz abzustreifen vermochte. Wie sagt doch Falco: „Muss ich denn sterben um zu leben?“