NEUER STAND DER AIDS-DISKUSSION
Jakob Segal

II. Ein neus Bild vom AIDS

1. Epidemiologie

Wenn kein wirksamer Impfstoff oder Medikament zur Verfügung steht entwickelt sicj jede Epidemie zunächst exponentiell; so wuchs die Zahl der AIDS-Fälle in Amerika und Europa fast genau pro Jahr auf das Doppelte an. Als eine massive Aufklärung einsetzte, flachte sich die Kurve der Erkrankungen stark ab. Zu dem so wirksamen "safer sex" (sicherer Sex) gehörte die Aussprache mit dem neuen Geschlechtspartner, der Verzicht auf den demonstrativ häufigen Partnerwechsel, der ja zumeist eher dem "Image des Macho" als einem echten geschlechtlichen Bedürfnis entspricht, vor allem aber die regelmäßige Verwendung von Kondomen. Nach neuesten Schätzungen wird die Infektionsgefahr durch ein Kondom um 95 oder sogar 98% herabgesetzt.
In den Ländern der III. Welt ist eine solch aufwendige Aufklärung nicht zu realisieren und Kondome für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich. Die sehr zurückhaltende Weltgesundheitsorganisation hpfft auf eine Verdopplung der Fälle alle zehn Jahre. Für Mitte 1992 wurden 1,7 Millionen AIDS-Kranke und -Tote geschätzt, und die sehr bescheiden angesetzte Zahl von 12,9 Millionen HIV-Infizierten. Bei einer Verdopplung alle 10 Jahre hätten wir Mitte 2050 etwa 3,840 Millionen HIV-Infizierte auf eine Gesamtbevölkerung, die nach Schätzungen der UNO bis auf 10 Milliarden angewachsen sein wird. Die 38% der infizierten Bevölkerung entsprechen aber genau dem fortpflanzungsfähigen und erwerbsfähigen Anteil. Ein Volk, das diesen Stand erreicht, wird in der nächsten halben Generation, wenn die meisten von ihnen durch ARC-Symptome oder durch opportunistische Infektionen erwerbsunfähig werden, unweigerlich aussterben.
Das ist keine reine Spekulation. Schon mehrt sich in Schwarzafrika die Zahl von AIDS-Doppelwaisen, die Großeltern zur Last fallen, die selbst nicht mehr erwerbsfähig sind. Die Entwicklung braucht nur in gleicher Richtung weiterzugehen.
Auch die Industrienationen sollten nicht darauf rechnen, etwa durch allgemeinen Kondomzwang dem Desaster zu entrinnen. Wir verdanken unseren Reichtum dem für uns sehr profitablen Handel mit der III. Welt. Ein Zusammenbruch der Ökonomie in diesen Ländern wäre für uns katastrophal. Die "Rettung der armen Afrikaner" ist nicht nur eine moralische Pflicht. Sie ist zugleich ein Akt der Selbsterhaltung für den impotenten Pharisäer wie für den sexhungrigen Jugendlichen.
Die Rettung Afrikas stellt aber an uns besondere Anforderungen. Das Heilmittel muß für seine Bewohner finanziell tragbar sein. Das einzige bisher als Heilmittel zugelassene AZT und seine Derivate haben zwar bisher noch keinen AIDS-Patienten geheilt, kosten aber für die durchschnittliche Krankheitsdauer etwa 20.000 $, ist also nicht nur für die Afrikaner unbezahlbar. Auch die uns lange angekündigten Impfstoffe versprechen keine Lösung. Alle sind gentechnologische Produkte und entsprechend teuer. Nach Schätzungen würde eine Impfdosis nicht unter 300 $ kosten. Für ein mittelgroßes Land wie Kenia würde die Impfung von 20 Millionen Einwohnern 9 Milliarden $ allein für die Beschaffung des Impfstoffes erfordern, also ein Mehrfaches des gesamten Jahresbudgets.
Um die Afrikaner - und auch uns selbst - vor der AIDS-Katastrophe zu retten, brauchen wir keinen Impfstoff sondern ein Heilmittel, ein extrem billiges Heilmittel, das ambulant und ohne großen technischen Aufwand in primitiven Sanitätsstationen von einem mäßig geschulten Personal angewandt werden kann. Es geht auch für den Europäer um Sein oder Nichtsein.

2. Neue Aspekte des AIDS

In meinem ersten Artikel erwähnte ich, daß angesichts des totalen Mißerfolgs der Bemühungen um eine AIDS-Therapie manche Autoren vermuteten, Ursache dafür sei, daß wir entscheidend wichtige Faktoren der Pathologie dieser Krankheit nicht erkannt hätten. Keiner von ihnen nannte allerdings einen solchen Faktor.
Für mich wurde zum Anstoß die Erkenntnis, daß der AIDS-Erreger ein gering abgeändertes Visna-Virus ist und daß beide zwei sehr ähnliche Krankheiten erzeugen. Beim genaueren Vergleich erkannte ich, daß diese Krankheiten einander noch weit mehr gleichen als bisher angenommen wurde. Nun galt aber als bewiesen. daß das AIDS dadurch zustandekam, daß T4-Helferzellen vom HIV zerstört wurden, was zur Immunschwäche führte, während beim Schaf die T4-Zellen sich überhaupt nicht infizierten und die Viren sich ausschließlich in den Makrophagen vermehrten. Also mußte die Infektion der Makrophagen für die Symptome bei Visna und auch beim AIDS verantwortlich sein.
Bestätigt wurde diese Vermutung durch die zahllosen Versuche, Schimpansen mit dem HIV zu infizieren. Die Viren überlebten und vermehrten sich in den T4-Zellen des Affen, Antikörper wurden gebildet, aber keines dieser zahlreichen Tiere entwickelte Symptome des AIDS, nicht einmal eine bescheidene Primärinfektion. Der Grund hierfür lag auf der Hand: Die Makrophagen des Schimpasen wurden vom HIV nicht infiziert. Die Schlußfolgerung mußte lauten: Beim Menschen wie beim Schaf wird das tödliche Syndrom durch die Infektion der Makrophagen verursacht.
Spätestens seit dem Pariser Kongress (1986) haben wir die Gewißheit, daß das HIV auch beim Menschen die Makrophagen infiziert. Das wäre ein Anlaß gewesen, die Vorstellungen von der Pathologie des AIDS gründlich zu revidieren. Doch Fauci, Amerikas führender Fachmann für AIDS-Pathologie, gelang es, diese neue Erkenntnis unter den Teppich zu kehren. Zwar könnte, so proklamierte er, das HIV in einen Makrophagen eindringen und sich in ihm vermehren, der Makrophage würde aber dadurch nicht getötet. Er könnte bestenfalls als ein passives Reservoir, eine Zuflucht, in der das Virus die Latenzperiode überstehen könnte, dienen, aber danach würde die Krankheit durch die Infektion frischer T4-Zellen neu belebt.
Die These, nur das Abtöten einer Kategorie von Zellen habe einen Einfluß auf das Krankheitsgeschehen, wurde zu diesem Zweck frei erfunden und widerspricht, wie wir gleich sehen werden, vorliegender klinischer Erfahrung; sie wurde aber widerstandslos akzeptiert, vielleicht wegen der hohen fachlichen Autorität, die Fauci genoß, vielleicht auch, weil über seinen Schreibtisch die Verteilung von Forschungsmitteln in Milliardenhöhe lief. So wurde zur Rettung der moralischen Autorität der Vereinigten Staaten die medizinische AIDS-Forschung bewußt auf sterile Bahnen gelenkt.

3. Der Makrophage

Neben seiner allgemein bekannten Rolle im Immunsystem hat der Makrophage eine nicht weniger wichtige Aufgabe bei der Regulierung des Stoffwechsels vieler Gewebe. Für seine Funktion als permanent angeregter Phagozyt muß er ständig große Mengen eines starken Reizstoffs ausscheiden, der als TNF-alpha (Tumor Necrosis Factor = Tumor abtötende Substanz) bezeichnet wird. Dieser Name ist irreführend. Der TNF-alpha tötet zwar in Zellkulturen die Tumorzellen leichter als gesundes Gewebe, seine Konzentration reicht aber nicht aus, um das Wachstum von Tumoren in vivo auch nur zu hemmen. Seine Aufgabe liegt anderwertig.
Nach einem Reifungsprozeß in der Blutbahn wandern etwa 90% der Makrophagen in verschiedene Gewebe ein, ins Gehirn, in die Leber, die Nieren, die Haut und Schleimhaut, die Lunge und andere. Sie nisten sich dort ein und fahren fort, den TNF abzuscheiden. Dieser Reizstoff verteilt sich in den offenen Räumen zwischen den Zellen, erhöht deren Erregungsniveau und beschleunigt den Stoffwechsel. Die Stärke des Stoffwechsels eines jeden Gewebes wird dadurch auf ein Optimum eingestellt, was als feeder function (Fütterungsfunktion) des TNF bezeichnet wird.
Bekannt ist, daß die Infektion eines Makrophagen durch Viren seinen Stoffwechsel permanent steigert. Bei der HIV-Infektion wächst der Ausstoß an TNF um das Hundertfache oder weit mehr. Ein Gewebe, das auch nur wenige infizierte Makrophagen integriert wird durch das Übermaß an TNF überreizt. In milden Fällen führt das zu einer Entzündung, in schweren zur Nekrose, zum Absterben von Zellen oder ganzen Organen. Diese als Mononukleosis bezeichnete Krankheit, bei der die Makrophagen nicht zerstört werden, müßte dem Viropathologen Fauci bekannt gewesen sein.

4. Der Ablauf der HIV-Infektion

Mit Hilfe dieser neuen Erkenntnis, daß HIV-infizierte Makrophagen krankhafte Veränderungen bewirken können, wollen wir uns nun den Ablauf der Krankheit verfolgen. Dabei muß ich mich hier mit einer extrem gekürzten Darstellung begnügen. Eine ausführliche Beschreibung mit den notwendigen experimentellen Beweisen findet der interessierte Leser in einer umfangreichen Monographie (Fußnote: J. Segal: AIDS - Zellphysiologie - Pathologie und Therapie; Verlag Neuer Weg, Essen, 1992).
Wenn das HIV durch geschlechtlichen Kontakt oder durch eine Transfusion in die Blutbahn eines gesunden Menschen gelangt, so trifft es frürer oder später auf einen Makrophagen, dessen Membran Rezeptoren vom Typ CD4 trägt, die gleichen, die wir uach auf der T4-Zellen vorfinden. Es ist bekannt, daß die T4-Zellen vom HIV nur infiziert werden, wenn sie durch IL-1 odoer durch einen anderen Reizstoff aktiviert wurden, was beim Gesunden nicht der Fall ist. Der Makrophage ist aber eine permanent aktivierte Zelle; also werden in erster Linie die Makrophagen infiziert. In ihnen werden sehr rasch zahlreiche Virusteilchen gebildet, die als Knospen durch die Zellmembran ausgeschieden werden, während, etwa alle 24 Stunden, wieder neue Viren gebildet werden. Die freigewordenen Virusteilchen fangen andere Makrophagen ein und erzeugen in ihnen Viren der zweiten Generation. In wenigen Wochen entstehen Milliarden von infizierten Makrophagen, von denen die meisten in Gewebe einwandern und sie mit einem Übermaß an TNF überschwemmen. Der Befall des Gehirns bewirkt Kopfschmerzen und Mattigkeit, der Befall der Darmschleimhaut erzeugt Durchfall, und alle zusammen verursachen sie das Fieber. Es entsteht eine Mononukleose, in diesem Falle eine HIV-Primärinfektion.
Nun beginnt der Patient, Antikörper zu bilden, die Viren werden vernichtet, und die Krankheitssymptome klingen ab. Im Prinzip werden gegen alle Eiweiße des Virus Antikörper gebildet, aber zwei von ihnen spielen eine besonders wichtige Rolle: das anti-p24 und das anti-gp120. Das reife Virion hat eine äußere Hülle, die dicht mit "Knöpfen" besetzt ist, ein Glycoprotein mit Molekulargewicht 120 000, daher gp120, und eine innere Kapsel (core) mit dem Erbmaterial, die durch das Protein p24 gebildet wird. Der Antikörper anti-gp120 heftet sich an die Knöpfe der Virushülle und verhindert die Fixierung an den Makrophagen. Man spricht hier von einer neutralisierenden Wirkung. Dazu muß aber die Mehrzahl von 72 Knöpfe vom Antikörper besetzt werden, und die Neutralisierung stellt daher keinen sehr wirksamen Schutz vor einer Infektion dar.
Der Antikörper anti-p24 greift das Virus nicht an, er heftet sich aber an die Membran von infizierten Zellen, in denen sich das Virus vermehrt und zerstört ihre Membran. Das anti-p14 ist unser wirksamstes Abwehrmittel gegen das HIV. Mit seiner Hilfe stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Virusvermehrung und Viruszerstörung ein, zumeist auf so niedrigem Niveau, daß die Zahl der in die Gewebe einwandernden infizierten Makrophagen nicht ausreicht, um spürbare Krankheitserscheinungen hervorzurufen. Diese symptomfreie Phase, fälschlich als Inkubationszeit und richtig als Latenz bezeichnet, kann über Jahre oder auch Jahrzehnte erhalten werden. Ursache hierfür ist nicht, wie vielfach vermutet, eine Art Winterschlaf (dormancy) der Viren, sondern ein Zustand aktiven Gleichgewichts, Beweis dafür ist, daß man mit modernen Methoden zu jeder Zeit frisch infizierte Makrophagen im Blut des Patienten nachweisen kann, und das der TNF-Spiegel während der Latenz gegenüber dem Blut von Gesunden deutlich erhöht ist. Diese Unterscheidung ist prinzipiell wichtig. Ein "eingefrorenes" Infektionssystem wäre für therapeutische Eingriffe nicht empfänglich; handelt es sich jedoch um ein dynamisches Gleichgewicht, so könnten zusätzlich Virostatica das Niveau weiter senken und die Krankheit vielleicht zum Erlöschen bringen. Die Gepflogenheit, mit der klinischen Behandlung des AIDS zu warten, bis die Latenz vorbei ist, dürfte zum Teil auf einer falschen Vorstellung von ihrer Natur beruhen.
Am Ende der Latenzperiode, nach 2 oder nach 2 Jahren, geht die Produktion des Antikörpers anti-p24 rasch bis auf Null zurück. Damit ist das Gleichgewicht gebrochen, und die Menge der Viren im Blut steigt auf das Hundertfache. Wieder wandern zahlreiche HIV-infizierte Makrophagen in die verschiedensten Gewebe ein und produzieren eine Neuauflage der Primärinfektion, die allerdings nicht spontan abklingt, da kein anti-p24 die Vermehrung des Virus behindert. In einem bis zwei Jahren wachsen die nunmehr als ARC (AIDS-Reated Complex) bezeichneten Symptome zu lebensbedrohendem Umfang heran. Schafe sowie menschliche Kinder und Jugendliche pflegen zumeist schon in diesem Stadium an einem ARC-Symptom zu sterben.
Etwa die Hälfte aller AIDS-Kinder sterben an einer Gehirnentzündung mit Dementia (Irrsinn). Beim Schaf spricht man in diesem Fall von Visna (isländisch: Müdigkeit). Sehr häufig ist auch eine nicht-infektiöse infiltrative Pneumonitis, bei der sich die Lungenbläschen mit körpereigenen Entzündungszellen und Exsudat füllen. Beim Schaf nennt man diese Variante der Krankheit Maedi (isländisch: Atemnot). Bei Erwachsenen findet man gelegentlich Todesfälle durch Dementia. In Ländern mit mangelhafter Ernährung trifft man häufig die slim disease (Magerkrankheit). Die meisten Erwachsenen sterben jedoch an einer opportunistischen Infektion oder an einem Tumor, zumeist am Kaposi-Sarkom. Die Ursache hierfür müssen wir auf einer anderen Ebene suche.

5. Das Vollbild-AIDS

Die größte Menge inkorporierter Makrophagen finden wir im Thymus. Bei Kindern und Jugendlichen bildet dieses Organ Wachstum regulierende Hormone; außerdem reifen in ihm die T-Zellen. Beim Erwachsenen degeneriert das Drüsengewebe zu Fett, die Bereiche in denen die T-Zellen reifen, bleiben jedoch erhalten. Die im roten Knochenmark gebildeten T-Precursoren (Vorläufer) geraten zunächst in die äußere Rinde mit zahlreichen Makrophagen und hohem TNF-Niveau. Die Precursoren werden hierdurch zu einer wilden Vermehrung mit zahlreichen Mutationen angeregt. Ihre Zahl steigt auf etwa das Hundertfache. Nun wandern diese Zellen in die innere Rinde, die extrem reich an Makrophagen ist. Hier ist der TNF-Gehalt so groß, daß 99% dieser Zellen wieder abgetötet werden. Es überleben nur die sehr resistenten Mutanten vom Typ T4-Helferzelle, T8-Suppressorzelle, T8-Killerzelle und T8-natürliche Killerzelle. Im dahinter liegenden Mark erholen sich die reifen T-Zellen und wandern von dort in die Blutbahn.
Ist ein Teil der beteiligten Makrophagen HIV-infiziert, steigt der TNF-Gehalt im Thymus so hoch, daß auch die resistenten T-Zellen abgetötet werden. Nicht nur die T4-Zellen, sondern auch die T8-Zellen, die ja vom HIV garnicht angegriffen werden, verschwinden, der gesamte Immunapparat bricht zusammen, und die Bahn für die opportunistischen Infektionen wird frei. An einer von ihnen stirbt schließlich der Patient.
Auch die Gewebszellen des Thymus vermögen dem hohen TNF-Gehalt nicht zu widerstehen. Schon während der ARC-Phase zeigt die Computer-Tomographie, wie der Thymus immer blasser und blasser wird, und bei der Autopsie der AIDS-Toten findet man an der Stelle des Thymus lediglich eine leere bindegewebige Hülle.
Ist der Thymus genügend abgebaut, wird der weitere Ablauf der Krankheit vom Virus unabhängig. Selbst wenn es gelänge, sämtliche Viren in einem Patienten umzubringen, würde dieser in kurzer Zeit einer opportunistischen Infektion erliegen. In diesem letzten Stadium wird die Krankheit unheilbar.
Einen Nachweis dafür erbrachte Karpas. Patienten mit Vollbild-AIDS flößte er große Mengen Serum von Patienten im Frühstadium ein, das noch normale Mengen von anti-p24 enthielt. Schlagartig verschwanden die Viren aus dem Blut. Selbst mit der modernen Genmanipulation, die ein einzelnes Virion in einer Blutprobe anzeigt, waren HIV nicht mehr nachzuweisen. Auch die ARC-Symptome gingen zurück, und die Patienten fühlten sich subjektiv wohl. Aber sie alle starben zur gewohnten Zeit an einer opportunistischen Infektion.
Der gleiche Versuch wurde auch mit Patienten im ARC-Stadium durchgeführt. Die gleiche Besserung wurde verzeichnet, aber in der letzten Mitteilung hieß es, die Patienten seien alle bei guter Gesundheit und hätten größtenteils ihre frühere Tätigkeit wieder aufgenommen. Das AIDS ist sichtlich nur im letzten Stadium unheilbar; schon im vorletzten läßt sich sein Fortschritt aufhalten.

6. Die Therapie

In der Regel beginnt die Therapie erst dann, wenn beim Patienten die ersten opportunistischen Infektionen auftreten oder wenn die Zahl der T4-Zellen unter 200/kubikmm sinkt. Die Figur 1 d zeigt, daß das einem fortgeschrittenen Stadium des ARC entspricht, in dem der Thymus bereits weitgehend zerstört ist. Es ist anzunehmen, daß diese Patienten bereits unheilbar geworden sind.
Ein heiliger Grundsatz der Medizin besagt, daß ein Heilerfolg umso leichter zu erreichen ist, je früher die Krankheit erkannt und behandelt wird. Es gilt auch das Prinzip, daß wir durch unsere Therapie die natürlichen Abwehrkräfte des Patienten unterstützen sollen. Das AIDS ist die einzige Krankheit, bei der wir trotz einer vorliegenden Diagnose jahrelang warten, bis unsere wichtigste Immunwaffe, Antikörper anti-p24, ausfällt, bevor wir versuchen, durch Chemikalien allein den Erreger zu bekämpfen, ohne die körpereigenen Abwehrkräfte zu nutzen.
Bei jeder anderen Krankheit hätte der Arzt bei einem solchen Verhalten eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung und Kunstfehler zugewärtigen. Beim AIDS stützt er sich aber auf die auch international anerkannte Definition des amerikanischen CDC (Center of Disease Control = Zentralstelle für Infektionskrankheiten). Demnach liegt AIDS vor, wenn mindestens eine opportunistische Infektion auftritt oder die Zahl der T4-Zellen unter 200 sinkt, ohne daß dafür eine andere Ursache erkannt wird. In den ganzen Jahren von der Primärinfektion bis zum ARC leidet demach der HIV-Infizierte an keiner gesetzlich existierenden Krankheit und kann, zum großen Vorteil der Versicherungsgesellschaften, werder medizinische Hilfe noch Rechtsschutz in Anspruch nehmen.
Sehr deutlich bekam ich das von einem ausländischen Kollegen zu hören, den ich im Übrigen wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen hoch schätze. Als ich ihm vorschlug, sofort nach einem positiven Bluttest mit der Therapie zu beginnen, gab er mir zur Antwort: "Ja, wer soll denn das bezahlen?" Ein medizinisch begründetes Argument gegen die Frühtherapie bekam ich nie zu hören.
Alle wissenschaftlich kontrollierten Überprüfungen von AIDS-Medikamenten, mit einer Ausnahme, auf die ich gleich komme, wurden bisher an Patienten mit Vollbild-AIDS durchgeführt. Als typisches Beispiel nenne ich die Erprobung des Suramins. Diese Substanz wurde ursprünglich als Heilmittel gegen die Afrikanische Schlafkrankheit entwickelt. Da sie HIV-Kulturen gut abtötete, wurde sie an AIDS-Kranken erprobt. Bei mäßigen Dosen, die noch keine ernsthaften toxischen Nebenwirkungen auslösten, gingen die ARC-Symptome zurück, ein subjektives Wohlbefinden stellte sich ein, das Körpergewicht wuchs und die Zahl der T4-Zellen stieg an. Aber alle Patienten starben an opportunistischen Infektionen. Die Dosis wurde verstärkt, aber auch dan starben alle Patienten. Nach einer weiteren Verstärkung der Dosis wurden die toxischen Nebeneffekte unzulässig stark, und die Erprobung wurde abgebrochen. Das Suramin bekam den Vermerk "zu toxisch" und kam auf die schwarze Liste. Ähnlich erging es anderen aussichtsreichen Medikamenten. Sie alle waren Virozide, und die Zerstörung der HIV zu einem Zeitpunkt, an dem der tödliche Ablauf der Krankheit bereits vom Virus unabhängig war, konnte keine Heilung bringen. Aber die schwarze Liste stellte eine Fundgrube an Viroziden dar, die sich bei einer Frühtherapie bewähren könnten. Versuche in dieser Richtung sind mir bisher nicht bekannt.
Der einzige Kandidat auf AIDS-Heilung, der durch die strenge Eignungsprüfung der amerikanischen Gesundheitsbehörde passierte und amtlich für die AIDS-Therapie zugelassen ist, ist das AZT (Azidothymidin, Handelsname Zidovudin, in Deutschland Retrovir). Genauso wie bei den abgelehnten Heilmitteln sterben auch mit AZT alle Patienten, jedoch scheinen die statistischen Befunde zu zeigen, daß der Tod einige Monate später eintritt als bei unbehandelten Patienten. Allerdings zeigte Lauritsen (Fußnote: Lauritsen, J.: Poison by Prescription - The AIDS Story, Askepsios, New York, 1990) in einer unwidersprochen gebliebenen Studie, daß das statistische Material arg manipuliert worden ist.
Die toxischen Nebenwirkungen des AZT sind sehr schwer. Der Wirkmechanismus hemmt nicht nur die Vermehrung der AIDS-Virus sondern auch die der normalen Körperzellen. Alle Körperfunktionen, und die Immunfunktion, werden durch AZT stark behindert. Bei Vollbild-AIDS-Patienten hat die Hemmung des Immunsystems wenig zu besagen, da der Immunapparat ohnehin zerstört ist, die Störung der Blutbildung bewirkt aber, daß viele Patienten häufig Bluttransfusionen benötigen und oft die AZT-Therapie abbrechen müssen. Daß ein so zweifelhaftes und dazu extrem teures Medikament sogar noch vor Ablauf der Erprobungsprogramme zugelassen wurde, erklärt Nussbaum in einer ausführlichen Schrift (Fußnote: Nussbaum, B.: Good Intentions - How Big Business and the Medical Establishment Are Corrupting the Fight Against AIDS; The Atlantic Monthly Press, New York, 1990) durch die finanzielle Kraft der Burrow-Wellcome C-ie, des Herstellers des AZT, und durch die Empfänglichkeit leitender Mitglieder der amerikanischen AIDS-Lobby für Geldgeschenke. Kurz nach Erscheinen seines Buchs starb Nussbaum unerwartet und nahm den Anwälten von Wellcome die Möglichkeit, seine Anschuldigungen vor Gericht zu widerlegen.