Laudatio anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "monochrom"
in der Galerie Stadtpark, Krems
8. April 2001

von Drehli Robnik

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kremserinnen und Kremser!
 

Ich bin sehr dankbar dafür, heute und an dieser Stelle einige einführende Worte über die Tätigkeit von monochrom an Sie verlieren zu dürfen.

Die jungen Leute von monochrom sind mir seit geraumer Zeit in ihrer Eigenschaft als Medienmogulerie, Eleganterie und staatlich geprüftes Rhizom bekannt und vertraut.
Insofern glaube ich, dass eine Begegnung mit den Sinnpotenzialen, die monochrom uns anbieten, durchaus fruchtbar im Wege einer Annäherung an die laufende filmische Produktion von monochrom erfolgen kann. Von den filmischen, genauer gesagt videografischen, Arbeiten her lässt sich das, was monochrom tun und veröffentlichen, in seiner im strengen Sinn kosmischen Dimension begreifen: als tendenziell unendliche heterogene Vielfalt, die einer irrationalen und antidisziplinarischen Logik der Verkettung entspringt.

Die beiden Hälften eines Sinnspruchs, die den zwei jüngsten Kurzfilm-Kompilationen von monochrom als Titel dienen, liefern uns dazu ein dankbares Diagramm:
"Lieber eine einzige Ursache begreifen..."
"... als der König von Persien sein"

Die Zurückweisung der persischen Königswürde kann hier für den umfassenden anti-imperialen, anarchischen Gestus von monochrom stehen. Es geht gerade nicht darum, sich von der souveränen Position des Königs, vom Standort der politischen und diskursiven Macht her, zu äußern. Monochroms Reich ist nicht von dieser Welt, ist nicht terrirorial, sondern All. Es ist weder das persische Königreich noch Schengenland, weder das Imperium neoliberaler Konsum- und Unterhaltungskultur noch der sich über Distinktion seiner symbolischen Kapitalien autorisierende Äußerungsbereich der Kunst.

Anstatt der König von Persien zu sein, will man lieber eine einzige Ursache begreifen. Insofern das Begreifen der persischen Königswürde entgegensteht, wiederholen monochrom den ewig wiederkehrenden Ursprung des philosophischen Denkens: Die Philosophie als Arbeit am Begriff nimmt ihren Anfang in der Abspaltung von der Macht, von der politischen des Königs wie auch von der epistemischen Macht des Wissens.

Hieraus folgt, dass das Denken, das begreifen will, das dem Begriff zustrebt, selbst kein machtvolles Denken ist. Es hat keine Macht im Sinn der Verfügungsgewalt oder des gesicherten Besitzes. Dieses Denken konfrontiert sich mit seiner innewohnenden Ohnmacht, mit einer Denkunfähigkeit im Herzen des Denkens, indem es von einem hartnäckigen Problem ausgeht: "Lieber eine einzige Ursache begreifen...": Schon das Begreifen einer einzigen Ursache stellt sich als Problem.

Wieso eigentlich? Wieso ist das Begreifen einer Ursache ein Problem?
Plastisch gesprochen, würde ich meinen: Schauen Sie sich die monochrom-Kurzfilme oder auch einige der materiellen Exponate hier an, und Sie werden merken, dass es nie so klar ist, warum etwas passiert. Es ist nicht einfach, die Ursachen dessen zu begreifen, was sich da so ereignet.

Für gewöhnlich liegt uns das Begreifen von Ursachen sehr nahe. In der imperialen, leistungs- und kaufkraftkontrollierten Welt, in der wir leben, ist das Zurückführen von Wirkungen auf Ursachen, die Herstellung eines Kausalnexus, unser täglich Brot. Wir arrangieren unsere Alltagserfahrung, unsere historische Herkunft und auch einen Gutteil unserer kulturellen Fiktionen, etwa die Erzählungen von Filmen, indem wir Verbindungen zwischen Ursachen und Wirkungen nachvollziehen. Wenn das gelingt, können wir so leben, wie wir leben, und es stellt sich das befriedegende Gefühl von Wissen und Orientierung ein.

In der kosmischen Welt von monochrom hingegen, zumal in den Ordnungen ihrer filmischen Fiktionen, stellt sich das gesicherte Wissen entlang einer Kausalverbindung meist nur um den Preis der Paranoia ein. Der Verfolgungswahn und die korrespondierende Welterschließungslogik der Verschwörungstheorie spielen bei monochrom gelegentlich die Rolle einer Sinnstiftung, die einen selbstgewissen Alltagsvollzug gewährleistet. Etwa im Fall des Films "Drop-out-Rate" über die Wiener Magistratsabteilung der Drachentöter: Dem erfahrenen Drachentöter fällt es leicht, Verunreinigungen an öffentlichen Telefongeräten in der Wiener U-Bahn-Station Karlsplatz auf das Werk von allgegenwärtigen Drachen zurückzuführen. Der Drache ist hier die naheliegende Ursache für Wirkungen, mit denen wir beim Benützen öffentlicher Verkehrsmittel konfrontiert sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Erzähler in dem Film "Werner Schneyder sein": Der überhöhte Preis des Dessert-Gerichts "Crepes alla Rothschild" in der Stockerauer Pizzeria Peppino erklärt sich ihm als Wirkung der Verschwörung einer Weltregierung, an deren Spitze die Bankiersdynastie Rothschild steht.

Hierin zeigt sich möglicherweise ein Potenzial, das im paranoiden Denken steckt. Ein Potenzial das zutagetritt, wenn die Paranoia sich nicht in Ressentiments und antisemitischen Verschwörungsfantasien verläuft. Ihrer Wortherkunft nach – vom griechischen "para" ("bei, neben; abweichend") und "noos" ("Denken, Sinn, Verstand") – ist die Paranoia ein abweichendes Denken, ein Daneben-Denken. Die Abweichung stellt das paranoide Denken neben das Wissen und neben das selbstbewusste, disziplinierte Tun.

Dieses Daneben verweist auf ein Außen, das die Abweichung erst ermöglicht. Das paranoide Denken steht in einer prekären, allzu innigen Verbindung zu einem irreduziblen, kosmischen Außen, so wie im klassischen Fall von Daniel Paul Schreber, jenes Schizophrenen, an dem das ödipal-neurotische Paradigma von Freuds Psychoanalyse scheiterte. Sein Wahn bestand in der Empfindung, von Sonnenstrahlen in den Arsch gefickt zu werden. In durchaus geistesverwandter Weise äußert sich in dem monochrom-Film "Bewerber Fisch" ein Mann am Ende seines korrekt abgewickelten Berufsbewerbungsgesprächs: Seine einzige Schwäche, so gesteht er etwas verlegen ein, bestehe in der bisweiligen Vorstellung, dass er den Mount Everest fickt.

Kommen wir zum Punkt:
Die mitunter paranoide, generell jedenfalls irrationale und nicht-kausalistische Philosophie von monochrom setzt das Denken, ebenso das Empfinden, Wahrnehmen und Handeln, in innige Beziehung zu einem Außen.

Im Fall des gewohnheitsmäßigen Verbindens von Ursachen und Wirkungen denken wir aus einem Innen, aus dem vorgestellten Besitz von wissendem Bewusstsein heraus. Ein Innen, das allerdings offen bleibt, weil es sich in die Zukunft öffnet: Alles was passiert, ist Wirkung vergangener Ursachen und kann selbst Ursache künftiger Wirkungen werden. So laufen Lebenserzählungen und Liebesgeschichten, Historien und die meisten Filme im Kino und im Fernsehen ab.
Bei monochrom und in ihren Filmen hingegen ist das Begreifen von Ursachen ein Problem, weil alles Wirkung ist, die nicht von kausalen Abläufen, sondern von einem Außen herrührt, das jegliche Innerlichkeit heimsucht und penetriert. Dieses Außen ist der Kosmos, das unendliche All. Für die moderne Erfahrung und für deren Begreifen im Bild, zumal im filmischen und videografischen Bild, für die moderne Erfahrung also ist das Ganze nicht das Offene, sondern das Außen – so der vitalistische Philosoph Gilles Deleuze, auf dessen Begriffslogik diese Laudatio sich zu stützen sucht.

Das kosmische All begegnet uns bei monochrom ganz handgreiflich in Form des Weltraums als Kategorie, über die menschliche Lebenswelten bestimmt sind. Weil wir ein Teil des Kosmos sind – so der Imitator des Astronauten Wesley D. Sikorsky, des zweiten Mannes auf dem Mars, in dem Film "Sozusagen: Weichselbaumer" –, weil wir also ein Teil des Kosmos sind, ist es unsere Pflicht als Menschheit zu überleben. Was wir sind, ist kosmisch verfasst. Ähnlich verhält es sich in dem monochrom-Film "Dialektik einer Aufklärung", in dem zwei Bauern ihren agrarischen Alltag in ständiger Abhängigkeit von interplanetarischen Vorgängen und Strahlungen erleben. Strahlung ist wichtig bei monochrom: Alles strahlt, das kosmische Außen strahlt in die nur scheinbar geschlossene Innerlichkeit jeglicher Teilwelt hinein. Etwa in ein bäuerliches Milieu, das sich im Fall der beiden monochrom-Landwirte gerade nicht über patriotisch-traditionale Bodenhaftung bestimmt, sondern über sein Affiziert-Werden aus dem All. Das Außen strahlt aber auch in die beliebige Umgebung von U-Bahn-Korridoren hinein, wo der Magistratsbeamte für Drachentötung hinter jeder Plakatwand und jeder Tür zu einem Wartungsraum "eine Welt", zumal "das ganz Andere", vermutet. Selbst in der Alltagsumgebung einer Aufzugskabine sind Alltagsmenschen der Strahlung und Wirkung eines sprechenden Fahrstuhl-Computers ausgesetzt, der im Film "Standby" in beiläufigem Plauderton mit ihnen über ihre Alltagsfreuden und -sorgen spricht.

Monochrom kennen und zeigen diese Welt, unsere Welt, sehr genau, aber ihr Reich ist nicht von ihr, weil sie Weltgrenzen nicht anerkennen. Das satirische Moment von monochrom entsteht aus den Porträts von sozialen und Berufs-Milieus, von Medienformaten und gruppenspezifischen Rhetoriken: Landwirt, Drachentöter, Automechaniker, Astronaut, Köhler; TV-Reportage, Bewerbungsvideo, Interview, Science-Fiction-Monster-Movie, Historienfilm; Redeweisen der Wissenschaft, der Sozialtheorie, der Kommunal- und Landespolitik, der Werbung, der Jugendkultur und der Religion. Jede dieser lebensweltlichen, räumlichen oder medialen Teilöffentlichkeiten hat ihre Wissens- und Diskursfelder, ihre Weisen, Wirkungen auf Ursachen zu beziehen und Orientierung herzustellen. Jedes dieser Milieus hat seine Weise, Sinn zu generieren, indem es Geschehnisse zu Erzählungen verbindet. Aber keines von ihnen kann sich zum systematisierten Innen abschließen; jedes von ihnen bleibt an ein Außen gebunden, das sich in ihm auftut, schleichend oder eruptiv, oder es in eine Drift versetzt, die neue, unvorhergesehene, nicht rückführbare Wirkungen hervorbringt.

Der Köhler aus dem gleichnamigen Film mutiert vom rußverschmierten Träger eines aussterbenden Handwerksidylls zum High-Tech-User und weiter zum Stifter einer Jugendkultur, die auf dem ökologischen Einsatz von Graffiti-Spraydosen beruht. "Im Sommer", so der Titel eines anderen monochrom-Films, nimmt die Polizei einen gehbehinderten Mann in Präventiv-Haft, weil ein detailliertes Studium seines Horoskops diese Maßnahme nahelegt. Das ist das philosophische Moment von Monochrom: Alles Denken, Empfinden, Wahrnehmen, Handeln ist grundsätzlich voraussetzungslos, entsteht nicht aus gesichertem Wissen oder disziplinierter Wahrscheinlichkeit, sondern aus Begegnungen und Konstellationen, Zufällen und Störungen, die im Extremfall in die Offenbarung oder Entstehung neuer, ungeahnter Welten gipfeln. Der Wechsel ins Außen einer anderen Welt, die Teil des kosmischen Ganzen ist, kann sich jederzeit, ebenso blitzartig wie lapidar vollziehen: etwa in dem Film "Smart", in dem ein Mann beim Shopping im Textilmode-Kaufhaus eine Dose Erdäpfelgulasch Marke Fishbone vorfindet und beim Versuch, sie zu stehlen, kurzerhand weggebeamt wird. Auch das ist Strahlung.
 
 

Unsere als bewohnbares Innen erlebte Welt zu einer neuen Welt und einer neuen Lebensweise in Beziehung zu setzen, das sind Aufgaben der Fantasy und Science-Fiction, der Kritik und des Anarchismus, vielleicht auch des Märchens und der Religion. Aufgaben jedenfalls, die monochrom sehr ernst nehmen und dabei sehr lustig sind. Monochrom sind – das gestehen sie offen ein – keine Sekte, sondern eine Bewegung, neuerdings auch als solche anerkannte Religion. Religion als Bindung von Denken und Leben ans Außen; eine Religion, in der es kein das Leben entwertendes Jenseits gibt, weil sie kein Diesseits anerkennt; eine Religion, in der alles Macht in Form von Strahlung ist, und die ohne institutionelle Zentralgewalt, ohne Gott oder König auskommt – und sei es der König von Persien.



Drehli Robnik ist Filmwissenschaftler und Filmkritiker, Lehrbeauftragter an der Universität Wien, Disk-Jockey und Entertainer. Er lebt in Wien-Erdberg.

Info zu "Lieber eine einzige Ursache begreifen" und "Als der König von Persien sein" unter www.monochrom.at/monofilm/