Notizen eines King Crimson-Ironikers

Von Frank Apunkt Schneider
 
 
Das Märchen von dem Mädchen aus der Unterschicht und dem bösen Bürstengeschäft.

Ein Mädchen aus der Unterschicht ging eines Tages im Regen spazieren, wie es die Menschen bisweilen tun, wenn sie ihren Gedanken ein wenig Auslauf verschaffen wollen. 
Es war ein leichter, feingesponnener, ein melancholischer Regen.
Müde war sie erst vor einer Stunde von ihrer Arbeit in der Knochenmühle zurückgekommen, wo sie täglich acht Stunden an der Stampfe stand. Die Stampfe war ein dunkler, unfreundlicher Ort, an dem keiner gerne arbeiten mochte. Sie bestand ganz einfach aus zwei riesigen Mahlsteinen, einer auf einer im Boden eingelassenen Stange angebracht und einer an der Decke, den konnte man durch die Betätigung eines Hebels auf den ersten heruntersausen lassen. Nun war das Mädchen tagein, tagaus, damit zugange die Knochen und Schädel und Gebeine, die täglich in unglaublicher Zahl angeliefert wurden, seit das große Sterben in den Außenbezirken der Stadt wütete, auf den unteren der Mahlsteine zu schaufeln. Riesige Loren karrten ohne Unterlaß die Knochen und Schädel und Gebeine herbei. War der Mahlstein voll, zog sie an dem Hebel und rummmmmmms! sauste der andere Mahlstein von der Decke herab und haute alles zu feinem Staub. Mit einem zweiten Hebel fuhr sie sodann die Ansaugrohre aus, die das Knochenmehl eingesogen und zur Weiterverarbeitung in die entsprechenden Abteilungen leiteten.
Wenn das Mädchen aus der Unterschicht abends nach Hause in ihre kleine Einzimmerwohnung kam, war sie stets unendlich müde und nur noch selten holte sie in den letzten Wochen ihr Notizbüchlein heraus, um darein kleine, viereckige Gedichte zu kritzeln, denn dies war die einzige Vergnügung, die ihr karges Dasein kannte, meist starrte sie nur dumpf-brütend vor sich hin, die kleinen, viereckigen Gedichte waren versiegt und wenn sie sich doch einmal aufraffen konnte, in ihr Notizbüchlein zu schreiben, so standen am Ende doch nur fühllose und ungefüge Wortklumpen da, aber keine kleinen, viereckigen Gedichte, wie sie sie zu verfertigen liebte. Und da riß sie die Seite heraus und warf sie zu den andern in den Papierkorb.
Heute jedoch hatte sie jener leichte und feingesponnene, ja jener melancholische Regen dazu bewogen, noch einmal die Wohnung zu verlassen und ein wenig in ihm herumzugehen. Eine Schlagerzeile aus dem letzten Jahrhundert ging ihr im Kopf herum, sie wußte nicht zu welchem Lied diese gehörte, wie eine Walze drehte sie sich ständig um die eigene Achse, wiederholte sich immer und immer wieder und erzeugte einen leiernden, dabei aber einnehmenden Rhythmus, wie man ihn aus den Schlagern der Gegenwart kennt: „...oder durch San Francisco mit zerriss‘nen Jeans“. Was sie bedeuten sollte, in welchem Lied sie einmal welchen Sinn ergeben hatte, das war ihr entfallen und nur diese eine Zeile war übriggeblieben.
Dem leichten Spiel ihrer Gedanken hingegeben, ging sie, fast schon mit sich und der Welt versöhnt, durch die kleine Vorstadt, in der sie lebte, als urplötzlich der Regen anzog und sich von einem Augenblick zum nächsten zu orkanartigem Sturz verdichtete.
Sie hatte keinen Schirm bei sich und nach kaum einer Minute war sie über und über durchnäßt. Auch krakeelte mit einem Mal ein peitschender Wind um die Häuser und die Marquisen und Zunftschilder der Läden kreischten und knirschten in ihren jahrhundertealten Verfugungen. Schwärze goß sich in die Straßen, alles Sonnenlicht und alle Ladenbeleuchtung ersäuften die Wassermaßen und plötzlich war alles menschenleer, trotz allerbester Einkaufszeit in allerbester Gegend.
Als sie noch überlegte, ob sie Unterschlupf oder schleunigst das Weite suchen sollte, merkte sie, daß sie ihren Wohnungsschlüssel mit der kleinen grünen Discokugel daran zuhause auf der Anrichte hatte liegen gelassen. Ein greller Schreck keilte sich in ihre schon klammen Glieder.
So sah sie sich um, versuchte durch die stobenden Schleier, die der Wind in die Straßen warf, etwas zu erkennen; – Wohin sollte sie gehen? Es gab niemand in dieser Gegend, den sie kannte und bei dem sie hätte unterkriechen können für die Dauer des Unwetters. Sie beschloß, in einem Geschäft das Schlimmste abzuwarten und sich dann um das Weitere und Nötige zu bekümmern. 
Sie drückte die erstbeste Ladentür, das Reisebüro Adolf Schlump, aber nein, es war geschlossen, ein kleines Schildchen an der Türe verwies auf einen Trauerfall im engsten Familienkreis.
Desgleichen die Hofbäckerei Adolf Worms, gleich nebenan gelegen, auch hier baumelte ein „Trauerfall“-Schild lose hinterm Türglas, und auch hier hatte sich dieser „in engstem Familienkreis“ zugetragen. Wehmütig sah das Mädchen auf die massiven Gutsherrn-Torten, die im Schaufenster wie höhnisch strotzten.
Als sie auch das Sanitätsgeschäft Adolf Karpendiem geschlossen fand und, das werdet ihr hier wohl schon ahnen, dies mit einem „Trauerfall im engsten Familienkreis“ begründet war, wurde dem Mädchen aus der Unterschicht ein wenig bang, ja mulmig zumute. Was hatte das zu bedeuten? Sie lief die Ladenzeile entlang und starrte fassungslos auf die sich aneinanderreihenden Trauerfall-Schildchen, bei Numismatikbedarf Adolf Eschede ebenso wie bei der Tierhandlung Adolf Moralek und so weiter und so fort.
Als sie nun fast schon verzweifeln wollte, stieß sie, mehr aus Zufall doch noch auf eine Ladentüre, die ihrem Druck nachgab und sich knarrend öffnete. Es war diejenige des alteingessenen Bürstengeschäftes Adolf Mollusk, über das man in der Stadt allerdings merkwürdige Gerüchte umliefen. Daß die Ladenmädchen, die dort beschäftigt waren, stets auf unerklärliche Weise verschwanden, wollte man wissen, ja, manche raunten sogar, daß die Borsten der Bürsten, die der Herr Adolf Mollusk feilhielt, aus den Haaren der Verschwundenen verfertigt waren. Die Bürsten des Herrn Adolf waren nämlich sehr bekannt und vielgerühmt für ihre >>hochwertige Hygieneleistung<<, wie es ein Schild in der Auslage des Geschäftes selbst ein wenig steif und altmodisch herausposaunte. Ja, die Bürsten des Herrn Bürstenmachers Adolf Mollusk waren die besten Bürsten der ganzen Stadt, sagte man. Und wenn man das sagte, konnte man sich allgemeiner Zustimmung versichert sein. Und, wen interessiert schon so ein dahergelaufenes Ladenmädchen, wenn einer so erstklassige Bürsten macht, so war die gängige Meinung, Bürsten mit einer so >>hochwertigen Hygieneleistung<< setzte man dann noch humorig zitierend hinzu, denn ein so altbacken-rustikaler Slogan mußte freilich den Spott der modern und zeitgenössisch empfindenden Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt heraufbeschwören, aber die Bürsten, ja die, die waren wirklich gut. 
Die Ermittlungen der Polizeibeamten betreffs der spurlos verschwunden und wie vom Erdboden verschluckten Ladenmädchen hatten nie zu einem eindeutigen Ergebnis geführt und der Herr Adolf Mollusk gab stets zu Protokoll, er vermute, die Ladenmädchen, die er stets vom äußersten Lande zu holen pflegte, seien ins Getriebe der nahen Großstadt geraten, seien dort deren Verlockungen erlegen und in die unterirdischen Bezirke, darüber die städtische Beamtenschaft die Kontrolle schon längst verloren hatte, abgetaucht; und mehr wisse er da auch nicht. Eine Untat, egal welcher Art, war ihm jedenfalls nie nachzuweisen gewesen, auch wenn die Ladenmädchen, es dürften damals wohl um die 20 oder sogar 30 gewesen sein, allesamt verschwunden blieben. Sonst galt der Ladeninhaber trotz energisch und engagiert geführten Vorsitzes des Stammtisches des Einzelhandels 1840 im Gasthaus Adolf Menschel als zurückhaltend, spröde, sonderlich und unnahbar, jedenfalls aber als faktisch unbescholten.
Als nun das Mädchen aus der Unterschicht dies alles bedenkend doch der Not der Situation gehorchend eintrat und das Ladenglöcklein müde seine beiden Töne mehr rasselte, denn schlug, kam auch sogleich aus hintenliegenden Gemächern der Herr Adolf Mollusk selbst herangelaufen, machte einen kratzfüßigen Bückling und blickte die Eingetretene unverwandt an. Ringsum lagen in dichten Stapeln und vom Staub schon halb überwuchert Bürsten, Plastikeimer, Wedel, Scheuermittel, Spülschwämmchen und andere, unbekannte oder längst vergessene Haushaltsartikel.
Der Herr Adolf Mollusk steckte in einem grauen Kittel mit je zwei Seiten- und einer Brusttasche, darunter eine kurze, beige Hose aus undeutlichem Material. Seine stark behaarten Beine endeten in braunen Socken, vermutlich Polyester, ja ich erinnere mich genau: es war wohl Polyester. Zuunterst Riemchensandalen, durch die man das undurchsichtige zuckende Spiel der Zehen beobachten konnte. Einzeln stehende Büschel weißen Haares, eines davon markanterweise lila eingefärbt, hingen in zahlreichen Richtungen von seinem gleichzeitig knallrot und kreidebleich leuchtenden Schädel. Sowohl in seiner Brust- als auch jeweils in seinen seitlichen Kittel- und desweiteren sogar in den beiden Gesäßtaschen hatte er, was ein wenig absurd wirkte, jeweils einen Zollstock stecken und hielt auch noch zwei davon in jeder Faust, als er nun auf das Mädchen zutrat und mit einer lächerlich hohen, fiependen und dünnen Stimme fragte: „Sie wünschen, bitte!?!“
Das Mädchen konnte nicht sogleich antworten, da der sonderbare Anblick des sonderbaren Herrn Adolf Mollusk sie soweit aus der Fassung gebracht hatte, daß ihr die Sprache wie abgestürzt war und quasi erst wieder auf ihre Festplatte aufgespielt werden mußte, wenn Sie das Bild verstehen. Da sie nun nicht anders konnte, als auf den Herrn Adolf Mollusk zu starren, sah dieser verunsichert an sich herab und bemerkte den unziemlicherweise halb geöffnet stehenden Reißverschluß seiner Hose und als er diesen, ein wenig nun doch selbst auch peinlich berührt, schließen wollte, wiederum das Bündel Zollstöcke in seinen Händen; das unmittelbaren Zugriff stark erschwerte. Da warf er eine rappelnde Lache von sich und schob erklärend hinterdrein: „Sie müssen entschuldigen, Fräulein, ich mache gerade >>Inventur<<!“. Dabei jedoch grinste er so unverwandt schmierig und das Wort >>Inventur<< kam mit einem so klirrenden Nachhall hervor, als lauere dahinter etwas so unvorstellbar Grausiges, daß keine Sprache der Welt ein Wort dafür bereithalte.
Dem Mädchen fröstelte. Auch wäre sie gerne davongelaufen, als sie sich jedoch umwandte und zur Ladentür blickte, da schwoll draußen der Regendonner mit einem Mal noch um ungeahnte Grade stärker und gewaltiger an, wie als wollte er ihr bedeuten, daß es hier um ein Schicksal ginge, dem man nicht ausweichen konnte. 
Jenseits der schützenden Scheibe schien die Welt ein düstres Loch ohne Grund und die Straße war schwarz von Wasser, das man nicht sah, nur hörte und dessen fast unterseeischen Druck man meinte zu spüren, selbst hier drinnen noch; ja, man hatte fast den Eindruck in einer Taucherglocke viele tausend Meter unter dem Meer dahinzutreiben.
Da kratzte das Mädchen all seinen Mut zusammen und bat darum, im Laden vom Herrn Adolf Mollusk bleiben zu dürfen, bis das Unwetter vorüber sei.
„Aber ja, aber ja, mein Kind!“, sagte der Herr Adolf Mollusk, „Hier nehmen sie sich ein Bonbon! Greifen sie ruhig zu, sie kosten mich ja doch bloß zwei Pfennige im Einkauf!“
Er langte ihr ein Bonbonglas hin mit Bonbons, die staubig schmeckten, zog unter seinem Tresen ein alten, abgewetzten Fußschemel hervor und schob ihn ihr zu: „Setzen Sie sich doch, mein Kind!“, sagte er, dann rückte er sich selbst eine Holzkiste heran, hockte sich darauf und begann plötzlich ansatzlos zu erzählen und zu erzählen. Wie ein leise rasender Webstuhl redete er auf sie ein, wie ein Automat spulte er die Worte hervor. Es waren widerliche Dinge, die er sprach. Das widerwärtige und uninteressante Gesülze des Einzelhändlers und Mittelständlers über Dinge des Geschäftes und die dabei davongetragenen Siege, die daraus erwachsende Bedeutung der Person, ihr Ansehen, die verkörperte Tradition. Davon auch sprach er wie sein Urgroßvater einst dieses Geschäft begründet, und davon, wie dieser seinen schärfsten Konkurrenten mit einer heimtückischen Schliche übertrumpft hatte, daß dieser habe >>fallieren<< müssen – ja, er benutzte tatsächlich diesen Begriff aus dem kaufmännischen Wortschatz des vorvorigen Jahrhunderts. Dazwischen streute er anzügliche Bemerkungen, die wenig Deutungsspielraum übrig ließen. 
Jedoch, das Mädchen hörte zu, ja, konnte nicht anders, mußte zuhören, wie gebannt. Denn tatsächlich wie Sülze schlossen sie die Stimme und die Worte des Herrn Adolf Mollusk ein in einen wie gallertartigen Zustand, sie fühlte wie ihr Körper, ihre Glieder, ihre Augen und Ohren die Fühlung für die Welt um sich her verloren und davongetragen wurden auf unbekanntem Pfad, wie sie immer tiefer, immer tiefer und immer tiefer hinabsank in eine konkonartige Starre. Die Worte quollen aus dem Mund des Herrn Adolf Mollusk wie die Wassermassen des Wolkenbruchs aus dem Himmel und allmählich verschwammen der Regen und die Geschichten zu ein und dem selben gleichmäßigen Murmeln. 
Und wie sie aufhörte, sich gegen den Inhalt seiner Worte, der sie ekelte, zu sträuben, da merkte sie wie ihnen ein betörender süßlicher Dunst entströmte, der Gaukelbilder vor ihre schon flackernden Augen trieb.
Wie der Herr Adolf Mollusk nun mit stolzgeschwellter Brust das Leben seines Ur-Groß-Onkels Medardus zum Besten gab, der während des Ersten Weltkrieges über eine Züricher Deckfirma die Britische Heeresleitung mit dem Fleisch von Rindern versorgt hatte, die er vorher mit einem tödlichen Gift eingasen ließ, das war ein Kerl! Ein Urbild von einem Geschäftsmann! Es handelte sich um ein tödliches Gift, daß der Ur-Groß-Onkel, der Chemiker gewesen war, auch selbst erfunden habe. Aufgenommen würde dieses über die Atemschleimhäute der Tiere, von wo aus es ins Blut und sodann Fleisch gelange, wo es sich ablagere; beim Verzehr durch den Menschen wiederum bilde es Depots in den Fettzellen, wo es erst dann freigesetzt würde, wenn oft Wochen, Monate nach der Einnahme, diese Fettreserven vom Körper aufgezehrt würden. Die Agonie dauere viele Tage und zu Tausenden hätten die Tommies im Graben gelegen mit aufgequollenen Bäuchen und sich die Seele aus dem Leib geschrien und keiner, keiner hätte ihnen mehr helfen können. Sein Vermögen habe der Onkel damit in löblicher Weise um ein Beträchtliches vermehrt und sich als wahrhafter Patriot unschätzbaren Verdienst um das liebe Vaterland erworben.
Dann sprach er ganz unverblümt vom rätselhaften Verschwinden der Ladenmädchen, die in seinem Keller ein unsagbar schreckliches Ende genommen.
„Ach nein, ach nein, ein Ladenmädchen vermißt heutzutage ja keiner mehr! Alle glauben, sie wären in die große Stadt fort und dort verschütt gegangen, ach nein, ach nein, ein Ladenmädchen vermißt heutzutage ja keiner mehr!“, lamentierte der Herr Adolf Mollusk leiernd vor sich hin.
Das Mädchen indessen beunruhigte dergleichen nicht, nein, sie fühlte sich sicher und warm wie ein Kind im Schoße der Mutter. Denn diese doch so lachhafte Stimme trug sie fort und fort und fort, hinweg über die Vorstadt, dann die Stadt, über ihre Ränder, wo das große Sterben wütete, über die zerstörten Landschaften Mitteleuropas und ihre Leichenberge hinweg, fort, übers Mittelmeer, das von einer klaren und hellen Sonne glasiert wurde, hinaus ins Land des Morgens, Arabien, voll von süßen, kitzligen Düften, von den süßesten Düften, die die Menschen je besessen. Da verwandelte sich all das Land, das unter ihr lag, in eine köstliche Frucht, in die sie hineinsank, die sie aufnahm, die sich um sie schloß und aus deren Fruchtfleisch, als sie erst darin eingeschlossen war, zahllose kleine Verästelungen, wie hauchfeine Äderchen, brachen, die sich mit wohligem Schauder in ihren Leib bohrten und das war ein süßer Kitzel; ihr Innerstes, alles, was sie je gefühlt und je gedacht, flossen nun in die Frucht und alles, was die Frucht je gefühlt und je gedacht, in das Mädchen, das nun kein Mädchen aus der Unterschicht mehr war, sondern der Kern im Gehäuse jener Frucht und Farben pulsierten um sie her, die sie noch nie gesehen und Düfte, die sie ...Von ferne glaubte sie ein widerlich schmatzendes Geräusch zu vernehmen, es schien von weit außerhalb ihres Traumes hereinzudringen, da stieß sie die Augen auf und sah durch die Schleier der anderen Welt, in der sie halb noch schwamm, das unermeßlich Grauenhafte, das um sie her vor sich ging. Es schien als habe sich das Bürstengeschäft in ein lebendes Wesen verwandelt, die Wände, wirkten fleischig und bewegten sich rhythmisch-pumpend, wie von einem geheimen 

Atem durchpulst. Von überall her krochen tentakelartige Wülste auf sie zu, fuhrwerkten und schlürften an ihr herum. Da, wo der Gang, der vermutlich in die hinteren Privat- und Lagerräume führte, gelegen hatte, tat sich ein Schlund wie ein Rachen auf, daraus stieß ein langer dicker, glibbriger, schleimüberkrusteter, sekretversprühender halsartiger Schaft hervor, an dessen Ende, wie an einem Kran, der Herr Adolf Mollusk hing, wenngleich sonderbar von innen nach außen gestülpt, denn seine Innereien standen von ihm ab, als seien dies seine eigentlichen Extremitäten, und nur an seinem Kopf erkennbar, der lachend japsend auf sie zufuhr. Angst flutete da den Körper des Mädchens, doch die Wucherungen und die schlingpflanzenartigen Glieder des Wesens hatten sie soweit eingesponnen, daß sie sich kaum noch bewegen konnte.
Und wie das Mädchen sich wand und in seiner Umklammerung hin und her sich warf, und wie der Kopf auf sie zufuhr, ein grunzendes Gurgeln dabei ausströmte, sein Maul aufstieß, und wie sie schon den kalten beizenden brodelnden stinkenden glucksenden Atem des schleimigen Dinges mit dem Kopf des Herrn Adolf Mollusk auf ihrer Haut spürte, und wie der Geifer des Dinges auf sie herabrieselte, und wie das Entsetzen durch ihren Körper schlingerte, und wie nun aus dem geöffneten Maul des Herrn Adolf Mollusk ein kugelförmiges Etwas mit hervorstehenden Schnorcheln Saugrüsseln Stacheln spiralförmig ihr entgegen trieb, da schrie das Mädchen, schrie, schrie wie sie nie zuvor in ihrem Leben geschrien hatte. Doch war kein Ton zu hören. Der Schrei trat ihr als gefrorene Masse vor den Mund, wurde von den Saugrüsseln und Schnorcheln eingesaugt, verschwand wie in Zeitlupe in dem kugelförmigen Gebilde und wurde scheinbar in den inneren Leib des Dinges hinabgepumpt. Da begann dieses zu zittern und zu beben, zuerst das kugelförmige Gebilde, dann der Kopf des Herrn Adolf Mollusk, dann dessen ganzer umgekrempelter Leib, die Wulst, an der er hing, der Raum, das Haus, alles, die ganze Welt und mit einem unendlich widerlichen Zischen platzte das fremde Wesen, war bald nur noch schleimige Masse, die in duzenden Lachen auf dem Boden lag, von den Tapeten rann, von der Decke tropfte. Das Mädchen erhob sich, gewann langsam die Kontrolle über ihren Körper wieder, fühlte das lähmende Gift entweichen, die Taubheit von ihr abfallen, wischte sich die Schleimspritzer von Gesicht, Händen und Kleidung, stand noch schwankend auf, ging dann rückwärts auf den Ausgang zu, dabei auf die Überreste des geborstenen Dinges starrend, noch durchrauscht von nie gekanntem Entsetzen, stieß die Türe, das, was noch davon übrig war und was sich wie klebrig und klumpig anfühlte, auf und taumelte hinaus, ins Freie.
War der Raum von innen unglaublicher Verwüstung anheimgefallen, so sah das Haus von außen ganz normal aus, nur die Schaufensterscheiben des Ladens waren beschlagen, sonst sah man nichts, was auf das Geschehene hingedeutet hätte. Der Regen hatte aufgehört und eine warme Märzsonne stand nun am Himmel und begoß die mildegewordene Szenerie mit Wärme und Licht. 
Da war eine Bushaltestelle, ja, tatsächlich, es war ihre Linie, dort blieb das Mädchen stehen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Als sie noch stand und den Brechreiz in ihrem Kopf niederzuringen suchte, hielt, wenige Schritte von ihr entfernt, ein Taxi an und heraus stiegen die Ladenbesitzer Schlump, Worms, Karpendiem, Eschede und Moralek. Da standen sie. Der Herr Moralek reichte Zigaretten herum und so blieben sie noch eine Weile beieinander und besprachen genußvoll paffend und im Tonfall ehrerbietungsvoller, solider Pietät die Vorzüge des so plötzlich und unerwartet verstorbenen Herrn Adolf Mollusk, dem, das war aus ihren Worten zu entnehmen, sie soeben auf dem Friedhof die letzte Ehre erwiesen hatten.
Dann gingen sie sternförmig davon, schlossen ruhig, gefaßt und sachlich ihre Geschäfte auf, nahmen die Trauerfall-Schildchen aus den Türen, spreizten allzeit tätig die Finger und warteten auf die erste Kundschaft des Tages. Dem Mädchen war schwindlig und ihr Mund schmeckte nach Erbrochenem.
Und wie der Bus herangefahren kam und sie den Fahrschein lösen wollte, da erschrack sie nur kurz und flach darüber, daß der Busfahrer in frappanter Weise dem Herrn Adolf Mollusk zu ähneln schien, wie man kurz und flach über den Brief eines vergessenen Bekannten erschrickt. Darüber, daß er ihr anstelle des Billets den vergessen geglaubten Wohnungsschlüssel mit der kleinen grünen Discokugel daran reichte, darüber erschrak sie schon nicht mehr.